Kingsbridge Das Leben in einer mittelalterlichen Stadt

[Elisabeth Wallace]

Tom hatte eine beunruhigende Nachricht geschickt. Elisabeth ließ den Brief sinken und atmete tief durch. Sie war froh, dass sie bereits am Schreibtisch saß, sonst würde sie jetzt vermutlich am Boden liegen.
Wenige Augenblicke später hatte sie sich wieder gefasst. Sie war eine Wallace und sie wusste was ihre Pflicht war. Unwillkürlich legte sich ihre rechte Hand auf ihren Bauch, als könnte sie sich damit stützen. Elisabeth straffte die Schultern, dann stand sie auf und verließ ihr Zimmer.

Sie musste ihrem Gatten davon berichten. Die Dame des Hauses griff mit der linken Hand den Stoff ihres Kleides, hob es leicht an um auf der Treppe nicht zu stolpern. Ihr Ziel war das Arbeitszimmer ihres Mannes. Albert schätzte es gar nicht, wenn sie ihn dort störte. Doch dieses hier duldete keinen Aufschub. Sie klopfte und wartete darauf, dass er sie herein bitten würde.

[Albert Wallace]

Auf seinem Schreibtisch waren die Listen der letzten Handelsreisen ausgebreitet und er brütete darüber, denn sie passten nicht mit den Beständen überein. Mitten in seine Überlegungen klopfte es an seiner Tür. Er runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen zusammen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er verärgert war über die Unterbrechung.

Dementsprechend barsch klang sein "Herein". Albert stand auf, wollte dem Störenfried entgegen gehen und ihm sagen wie unpassend das gerade war.

[Elisabeth Wallace]

Ja sie war darauf vorbereitet, dass er so reagieren würde. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht der älteren Frau, als sie die Tür öffnete.
Albert kam ihr bereits entgegen. Besänftigend lächelte sie ihm zu. "Schimpf nicht", bat sie ihn und hielt den Brief hoch. "Tom hat geschrieben. Bitte lies es dir durch. " Ohne auf eine Einladung zu warten, setzte sie sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und beobachtete ihn, wie er -den Brief lesend- um den Tisch herum ging und sich setzte.

"Was sagst du dazu?" Wollte sie wissen und beobachtete ihn genau.

[Albert Wallace]

Albert schnaubte. "Agnes war schon immer schwach. Es ist nicht verwunderlich, dass sowas passiert. Du hast sie verweichlicht. Sie war nie eine echte Wallace." Albert war ein harter Mann. Er machte sich auch nicht die Mühe das zu verbergen. Entweder man nahm ihn wie er war oder man konnte gehen.

"Willst du tatsächlich zu dieser Beerdigung gehen?" Er schüttelte den Kopf. Er kannte die Antwort. Seufzend stand er auf. Warf den Brief auf den Schreibtisch und schaute seine Frau an. "Dann geh und pack die Taschen. Wir reisen morgen früh ab."

[Elisabeth Wallace]

Elisabeth erhob sich. Die Worte ihres Mannes hatten sie getroffen. Sie hatte alle Kinder gleich behandelt. Aber Agnes war ihr Nesthäkchen. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht war sie mit Agnes immer zu nachsichtig gewesen. "Ich lasse die Koffer packen und wir werden morgen früh reisen können", antwortete sie leise. Dann verließ sie das Arbeitszimmer und ging zurück in ihre Räume.

Sie gestattete sich einen Moment der Schwäche, saß in dem Lehnstuhl am Fenster und weinte. Weinte um ein kleines Mädchen, dass sie einst in diesem Hause geboren hatte, in den Armen gehalten und gefüttert und versorgt hatte. Nun war sie tot. Elisabeth konnte es nicht fassen. Sie soll sich selbst gerichtet haben. Fassungslos las sie immer wieder Toms Zeilen. Irgendwann legte sie den Brief in ihren Sekretär und gab ihrer Zofe Anweisung sich darum zu kümmern, dass die Koffertruhen gepackt wurden. Sie würden die Reise machen und sie würden vermutlich einen Weile bleiben.